14. April 2012

Medikamente belasten das Trinkwasser


Arzneimittelrückstände im Trinkwasser sind nach Ansicht von Umweltexperten ein wachsendes Problem. Zehn Wirkstoffe seien mehrfach nachgewiesen worden, darunter diverse Schmerzmittel und Röntgenkontrastmittel, sagt der Toxikologe Dr. Hermann Dieter vom Umweltbundesamt. Der berühmte Lehrsatz des französischen Chemikers Lavoisier von der Erhaltung der Masse bekommt, wenn es um das wichtigste Lebensmittel überhaupt geht, eine besondere Bedeutung: Nichts geht verloren, belastet aber zusehends unser Trinkwasser.

Zehn Wirkstoffe - darunter Bezafibrat (zur Senkung der Blutfettwerte), Diclofenac (Schmerzmittel und Entzündungshemmer), Ibuprofen (Schmerzmittel), Antibiotika und Röntgenkontrastmittel - seien mehrfach im Wasser gefunden worden, bestätigt Hermann Dieter vom Umweltbundesamt.

 Arzneimittel gelangen auf vielen Wegen in den Wasserkreislauf

Beispiel Diclofenac: Rund 90 Tonnen des Schmerzmittels werden jährlich in Deutschland verbraucht. Allerdings verlassen 70 Prozent des Wirkstoffes des Körpers wieder auf natürlichem Wege – und gelangen dabei ins Abwasser. So gelangen etwa 63 Tonnen Diclofenac über den Urin in den Wasserkreislauf. Trinkt ein Mensch sein Leben lang durchschnittlich zwei Liter Wasser täglich, verbraucht er in 80 Jahren über 50.000 Liter Wasser. Wie viele Medikamentenrückstände er dabei aufnimmt, lässt sich kaum berechnen.

Rein gar nichts weiß man über mögliche Reaktionen, treffen alle Rückstände der rund 3.000 in Europa zugelassenen Medikamente aufeinander. Allerdings weiß man aus der Tierwelt, dass bei Fischen etwa, die an Kläranlagen-Ausgängen leben, nach Östrogen-Aufnahme (Ethinylestradiol aus der Antibabypille) Geschlechts-Umwandlungen beobachtet wurden.

Ein Problem ist aber nach Meinung des Bundesumweltamtes auch, dass unwissende oder allzu bequeme Verbraucher nicht eingenommene oder abgelaufene Medikamente einfach in der Toilette entsorgen. Und ein weiteres Problem ergibt sich dank der intensiven Tierhaltung: Aufgrund der Güllebehandlung der Wiesen und Felder entsteht eine zusätzliche Belastung mit Medikamenten aus der Tiermedizin – Antibiotika, Hormone usw. Bei der Fischzucht werden Antibiotika und Wurmmittel direkt in Oberflächengewässer eingeleitet.

 Forschungsbedarf vorhanden

Zwar seien die nachgewiesenen Mittel im Trinkwasser zwischen 100 und eine Million Mal niedriger als die verschriebene Tagesdosis, erklärt Dieter. Das bedeute aber nicht, dass sie unbedenklich seien: "Eine Quantifizierung des Risikos auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage ist noch nicht möglich. Ich sehe hier unbedingt mehr Forschungsbedarf.“

Vor allem die Wirkung, die sich ergeben könne, wenn Verbraucher viele Jahre lang mehrere Wirkstoffe gleichzeitig in geringen Konzentrationen über das Trinkwasser zu sich nähmen, sei noch unklar. Verbesserte Analysemethoden würden künftig wohl Rückstände weiterer Arzneien zutage fördern. Da die Lebenserwartung steigt und es immer mehr Arzneien ohne Rezeptpflicht erhältlich sind, wird dem Toxikologen zufolge auch die Anzahl der eingenommenen Medikamente zunehmen.
Abwasseraufbereitung

Die herkömmlichen Kläranlagen können die Arzneimittel-Rückstände nicht ausreichend filtern und reinigen. In der 2. Stufe werden die meist mechanisch vorgereinigten Abwässer mit Hilfe von Mikroorganismen – also Bakterien - gereinigt. Abgebaut werden dabei vor allem organische Stoffe, z. B. aus Lebensmittelresten und Fäkalien.
In der weitergehenden Abwasserreinigung werden durch Einsatz von Chemikalien weitere Stoffe wie Phosphate und Schwermetalle gefällt und geflockt und aus dem Wasser entfernt. Übrig bleibt Blähschlamm, der stabilisiert werden muss. Die festen Rückstände werden landwirtschaftlich verwertet, auf Deponien abgelagert oder verbrannt.

Abbau von Arzneimitteln

Doch wie der Abbau von Arzneimitteln erfolgt und welche Abbauprodukte entstehen, ist nur in einzelnen Fällen geklärt. Wahrscheinlich werden Arzneistoffe beim biologischen, oxidativen Abbau nicht nur zu Kohlendioxid und Bakterienmasse umgewandelt. Es entstehen vermutlich auch Abbauprodukte, die mit den heutigen analytischen Methoden nicht mehr erfasst werden können.

Dr. Manfred Hilp, Apotheker und Diplom-Chemiker, schreibt in der Pharmazeutischen Zeitschrift, dass z.B. Ibuprofen ein "schlechtes Umweltverhalten" zeige. Es wurde im Trinkwasser nachgewiesen, während bei Acetylsalicysäure (ASS) trotz des wesentlich höheren Verbrauchs Salicylsäure nur in Spuren in Fließgewässern gefunden wurde.

Moderne Methoden gefordert

Wissenschaftler fordern, dass die Abwasseraufbereitung technologisch aufgerüstet werden müsse - gefragt sind zum Beispiel Nano- oder Mikrofiltration oder Aktivkohlverfahren. Technisch ist dies möglich: Ein europaweit beachtetes Pilotprojekt zur Aufbereitung von Abwässern aus einem Krankenhaus läuft derzeit im Oberbergischen Waldbröl bei Köln - federführend ist das Institut für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen (ISA) um Prof. Johannes Pinnekamp.

Dazu erklärt Projektleiter Silvio Beier: "Erstmals wird der gesamte Abwasserstrom eines Krankenhauses mit einer separaten Abwasserreinigungsanlage aufbereitet." So können Reste von Röntgenkontrastmitteln, Antibiotika, Lipidsenkern, Betablockern oder Antirheumatika deutlich gesenkt werden, eine Elimination von 30 bis 99 Prozent, je nach pharmazeutischem Stoff, ist möglich.

In Nachbehandlungsstufen lasse sich dann praktisch alles reinigen und es bleibt nur eine Menge im nicht mehr messbaren Bereich übrig. Mehrere Verfahren zur Nachbehandlung - etwa mittels Ozon oder Aktivkohle - werden vom Institut und von Projektpartnern derzeit noch auf maximale Wirkung und Wirtschaftlichkeit getestet.

 Keine Panik

Bundesumweltamt-Experte Dieter sieht keinen Anlass, Alarm zu schlagen oder gar auf Leitungswasser zu verzichten. Aber: "Das Problem nimmt zu und wir müssen jetzt etwas tun." Da die Lebenserwartung steigt und immer mehr Arzneien ohne Rezeptpflicht erhältlich sind, wird auch die Menge der eingenommenen - und später ausgeschiedenen - Medikamente steigen.

Jeder Einzelne immerhin kann sich so verantwortungsvoll verhalten, dass Medikamente grundsätzlich zur Entsorgung in der Apotheke abgegeben werden sollen. Die verordnete Arznei sollte man in jedem Fall nach Anweisung des Arztes oder Apothekers einnehmen. Frei verkäufliche Schmerzmittel sollte man keinesfalls zu häufig nehmen und unbedingt den Beipackzettel lesen.


Quelle: gesundheit.de

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